Aus Problemen herauswachsen, nicht heraussparen!

Wirtschaftsweiser Bofinger zu Gast beim Neujahrsempfang 2007 der ZaboSPD

  • von  Redaktionsteam
    16.01.2007
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Vor über hundert Zuhörern in der Viatisschule ermahnte der Würzburger ökonom die Politik, die Bevölkerung nicht zu verunsichern. (Quelle: Wikipedia / User: Avatar)

Deutschland stehe nicht erst am Anfang eines langen Prozesses von Reformen, Deutschland habe schon wesentliche Reformschritte unternommen, die teils harte Maßnahmen für die Betroffenen beinhaltet hätten. Deshalb empfinde er durchaus Sympathie für die Mahnung des SPD-Vorsitzenden Beck, den weiteren Reformprozess etwas gelassener anzugehen, so der Wirtschaftsweise Peter Bofinger beim gestrigen Neujahrsempfang der ZaboSPD.

Vor über hundert Zuhörern in der Viatisschule ermahnte der Würzburger ökonom die Politik, die Bevölkerung nicht zu verunsichern. "Das ist, als ob ich dem Patienten nach einer großen Herzoperation, nach der er noch an lauter Schläuchen hängt, sage, das war aber erst der Anfang, die große OP kommt erst noch. Das muss ich doch anders gestalten, vielleicht mit einer Rehamaßnahme und einigen kleineren Nachoperationen", verdeutlichte Bofinger und verband damit seine Forderung nach einer klareren Benennung der wirtschaftspolitischen Zielsetzungen.

Die derzeitige Wirtschaftslage biete aufgrund der günstigen konjunkturellen Entwicklung tatsächlich Anlass zu Optimismus. Allerdings sei schwierig einzuschätzen, wieviel Dynamik des vergangenen Jahres besonderen Einmaleffekten wie der Ankündigung der Mehrwertsteuererhöhung geschuldet sei, die zu einem erhöhten Konsum am Ende des Jahres geführt haben könnte.

Bofinger forderte, sich nicht aus Haushaltskrisen heraussparen zu wollen, sondern aus ihnen herauszuwachsen. Während die Finanzpolitik unter Hans Eichel mit Sparmaßnahmen versucht habe, die Neuverschuldung unter die europäische Grenze von drei Prozent zu drücken, und doch meist über dieser Grenze gelandet sei, habe die Bundesregierung zuletzt im Sinne von mehr Investitionen mehr Neuverschuldung zugelassen als nach der Verfassung eigentlich zulässig, habe dadurch mehr Nachfrage generiert und dank gestiegener Steuereinnahmen sogar anders als geplant die 3-Prozent-Grenze eingehalten.

Entscheidend sei für die kommenden Jahre, dass man nach den eher angebotsorientierten Maßnahmen der Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre nun auch die Binnennachfrage wieder stärker in den Blick nehme. Dazu gehörten auch "normale" Lohnabschlüsse entsprechend der Produktivitätsentwicklung. Diese entfachen für den Sachverständigen Bofinger deutlich mehr Wirkung als etwa die Vereinbarung von Einmalzahlungen, die nicht zu dauerhaft mehr Nachfrage führen könnten.

Generell sei die in Deutschland vorherrschende Denkweise, dass freiwerdende Gelder entweder zur Haushaltskonsolidierung oder zur Senkung der Lohnnebenkosten genutzt werden müssten, zu hinterfragen. Deutschland müsste ein Vielfaches in die Bildung investieren, um den OECD-Durchschnitt zu erreichen oder gar in die Spitzengruppe der Länder vorzudringen. Mehr Bildung bedeute aber auch mehr Zukunftschancen. Ein ausgeglichener Haushalt sei dem gegenüber zwar nichts schlechtes. Aber an der Bildung zu sparen, um den Kindern durch weniger Schulden eine bessere Zukunft bieten zu wollen, sei ein fragwürdiger Denkansatz. Ein Einsatz freiwerdender Gelder für Bildung oder auch für Investitionen müsse wenigstens einmal als Alternative zur Konsolidierung oder Lohnnebenkostensenkung diskutiert werden.

Der Wirtschaftsweise erläuterte auch sein gemeinsam mit dem Nürnberger ökonomen Ulrich Walwei erarbeitetes Konzept einer negativen Einkommensteuer für Geringverdiener, das von SPD und Bundesarbeitsministerium derzeit geprüft wird. Sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten, die mindestens dreißig Stunden wöchentlich arbeiteten, aber nur bis zu 750 Euro (Verheiratete: 1300 Euro) verdienten, solle ihr kompletter Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung aus Steuermitteln wieder ausgezahlt werden. Der Effekt: Die Beiträge würden in voller Höhe abgeführt, die Geringverdiener hätten aber trotzdem mehr Netto in der Tasche. Das sei besser, als Arbeitnehmern, die voll erwerbstätig sind, aber trotzdem kein ausreichendes Einkommen erzielen, ergänzend Arbeitslosengeld II auszuzahlen und sie den entsprechenden Regeln zur Vermögensanrechnung etc. zu unterziehen. Die Höhe des Zuschusses sinke mit steigendem eigenen Einkommen und entfalle schließlich komplett bei 1300 Euro (Verheiratete: 2050 Euro).

Auch Landtags-Fraktionsvize Dr. Thomas Beyer (SPD) forderte zu mehr finanziellem Engagement im Bildungsbereich und einer investitionsfreudigeren bayerischen Wirtschaftspolitik auf. Mit Blick auf die CSU-Führungskrise erneuerte der SPD-Abgeordnete die Forderung der Opposition nach Neuwahlen. Wenn eine Regierung trotz einer parlamentarischen Zweidrittelmehrheit so im Chaos versinke, wie es bei der Staatsregierung in den letzten Wochen der Fall gewesen sei, sei es Zeit, die Wähler an die Urnen zu rufen. Dies gelte um so mehr, als nur Stoiber gehe, aber nicht das System Stoiber an sich abgelöst werde.

Schon zuvor hatte der SPD-Ortsvereinsvorsitzende Ulrich Blaschke in seiner Begrüßungsrede angemahnt, dem Wechsel an der Spitze der Staatsregierung müsse auch ein inhaltlicher Politikwechsel etwa bei der Schulpolitik, den Kürzungen im Sozialbereich oder auch der Polizeireform folgen. Klar sei jedenfalls geworden, dass die Bevölkerung eine auf Bespitzelung und persönliche Intrigen gestützte Politik ablehne. Edmund Stoiber wünschte der Vorsitzende, dass ihm auf dem Portrait, das es sicherlich für die Galerie der Ministerpräsidenten in der Staatskanzlei geben werde, anders als bei Immendorfs goldenem Kanzlerbild von Gerhard Schröder wenigstens keine Paviane, sondern ein bayerischer Löwe im Hintergrund zur Seite gestellt würden, allenfalls ergänzt um eine Karrikatur von CSU-Generalsekretär Söder, falls dieser hoffentlich ebenfalls abgelöst werden sollte.